Warum wir eine digitale Aufklärung brauchen

Aus dem bislang Beschriebenen, aus den Thesen selbst wie aus deren Begründung, ergibt sich die Notwendigkeit einer neuen Aufklärung im Zeichen von Digitalisierung und globaler Vernetzung. Wie schon bei der ursprünglichen, bürgerlichen Aufklärung ergibt sich deren Notwendigkeit aus der Entwicklung der gesellschaftlichen Bedingungen.

Im Gefolge der klassischen Aufklärung, die nicht ohne Grund im Englischen als "Enlightenment", also "Erleuchtung" bezeichnet wird, wurden in Europa aristokratische Regimes überwunden, Städte aus den Fesseln von Standesdünkel und Zunftherrschaft befreit und menschliche Freiheits- und andere Grundrechte erstmals kategorisch formuliert. Der damit einhergehende Aufschwung war nicht nur geistiger, sondern insbesondere gesellschaftlicher und nicht zuletzt wirtschaftlicher Natur.

Heute brauchen wir wieder eine Aufklärung, also den Mut und die Fähigkeit, Digitalisierung und Vernetzung "selbst zu denken", um sie schließlich ihrem Potenzial entsprechend wirklich produktiv werden zu lassen:

These 10:
Wir brauchen eine „digitale Aufklärung": neu und selbst gedachte Kategorien, die allein dieser grundsätzlich veränderten Welt gerecht werden können. Nur damit können wir diese Welt kritisch reflektieren und produktiv nutzen.

In einer ähnlichen Situation des fundamentalen Wandels befand sich die Menschheit schon einmal gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Erstarrte gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse wurden über den Haufen geworfen. Das zwischen klassischer Logik und mittelalterlicher Scholastik gefangene Denken war hoffnungslos überfordert angesichts der gewaltigen Dynamik der Veränderungen. Angesichts dieses klassischen Dilemmas bestand Immanuel Kants Antwort in seiner Maxime: „Jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung." Vor der gleichen Aufgabe stehen wir heute angesichts der digitalen Aufklärung.

Aufklärung und kritischer Diskurs darüber, was Digitalisierung und Vernetzung wirklich bedeuten, gesellschaftlich, wirtschaftlich und kulturell, ist heute notwendiger denn je. Allein es fehlen die dafür notwendigen Kategorien und Parameter. Denn der Traum der Vernunft ist inzwischen ebenso ausgeträumt wie der der Politischen Ökonomie und der Psycho-Analyse. Sie alle mögen uns einzelne und als solche durchaus taugliche Werkzeuge liefern, wie im übrigen auch Mathematik und Informatik, Medien- und Kommunikationstheorie, Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaften; zur Orientierung, gar als Maßstab oder Stütze auf dem Weg in die neue, digitale Wirklichkeit sind sie alle nicht mehr zu gebrauchen.

Entwickeln können wir eine solche Neu-Orientierung nur, indem wir uns den neuen, digitalen Anforderungen stellen, hellwach ihre Differenz zu den uns bekannten Realitäten anerkennen und unterwegs keine Mühen und Rückschläge scheuen. Der Weg in die vor uns liegende Zukunft ist noch lang. Kompass und Karten gibt es hier nicht. Wir müssen die digital vernetzte Welt neu vermessen.

Buchcover: Digitale Aufklärung - Warum uns das Internet klüger macht, von Ossi Urchs & Tim Cole

0.1 Ossis Blog1.1 Sigis Blog
© 2009, F.F.T. MedienAgentur, Offenbach am Main