Austausch statt Einbahnstraße: Warum Massenmedien ihre Funktion verlieren

Die "modernen", interaktiven Medien sind den herkömmlichen Massenmedien so überlegen, weil sie den Nutzern die Möglichkeit des Austausches bieten. Damit wird das, was einmal der ursprüngliche Sinn jeder Kommunikationsform war, der Austausch zwischen den Kommunizierenden, nun auch in der medial vermittelten, digital vernetzten Kommunikation möglich: der direkte und umreglementierte, private oder öffentliche Austausch mit Hilfe ansonsten ganz unterschiedlicher Medien. In Echtzeit oder asynchron. Zu zweit oder zu vielen. Über ein gemeinsames oder auch über zahlreiche unterschiedliche Themen.

Kein Wunder, dass mit der weiteren Entwicklung dieser Möglichkeiten und der wachsenden Kompetenz der Nutzer die "alten" Massenmedien ihre Attraktivität immer mehr einbüßen. Und daher lautet unsere fünfte These:

These 5:
Massenmedien verlieren mit dieser Entwicklung nach 150 Jahren ihre gemeinschafts- und identitätsstiftende Funktion. Dadurch kehrt die Kommunikation gewissermaßen zu ihrem Ursprung zurück: Zum interpersonalen Austausch, der heute allerdings zunehmend digital und medial vermittelt stattfindet.

Erschwerend kommt bei dieser bevorstehenden „Neuformatierung" der Gesellschaft der Umstand hinzu, dass uns die bekannten Leitplanken und Orientierungshilfen zur Erfassung einer sich dramatisch verändernden Wirklichkeit abhandengekommen sind. Und das betrifft nicht etwa nur Religionen und andere Glaubenssysteme, seien sie eher (natur-)wissenschaftlicher oder philosophischer Natur, sondern in ganz besonderem Maße die meinungs- und gemeinschaftsstiftende Funktion der alten Massenmedien.

Konnte man noch vor wenigen Jahren - wie ein deutscher Ex-Kanzler -davon ausgehen, dass man morgens nur die Bild-Zeitung lesen müsse, um zu wissen, was Deutschland am Abend glauben würde (oder wenigstens glauben sollte), so trifft das heute gleich aus mehreren Gründen nicht mehr zu. Zum einen hat die meinungsbildende und gemeinschaftsstiftende Qualität der Inhalte, ob sie nun gedruckt oder elektronisch unters Volk gebracht werden, unter dem Preisverfall der digitalen Waren und Inhalte dermaßen gelitten, dass sie als „Leit-Bild" schlechterdings untauglich geworden sind. Insofern dürfte die Pleite namhafter Zeitungstitel wie der „Frankfurter Rundschau" oder der „Financial Times Deutschland" nur ein erster Vorbote des großen Zeitungssterbens sein, wie es in den USA längst begonnen hat.

Zum anderen weiß das digital geschulte Publikum heute einfach zu viel über die Wirkungsweise massenmedialer Scheinwirklichkeiten, um ihnen noch zu erliegen: Wer einmal das „Dschungelcamp" gesehen hat, für den haben „Stars" endgültig ihren Zauber verloren. Und schließlich hat die Reichweite der ehemaligen Massenmedien inzwischen schon zu weit abgenommen, um noch identitätsstiftend wirkend zu können (von Fußballspielen, olympischen Spielen und anderen Mega-Events einmal abgesehen). Jedenfalls würde niemand heute noch auf die früher gängige Idee kommen, den Anruf bei der Tante doch besser zu verschieben, nur weil um 20 Uhr doch „im Fernsehen" die Tagesschau kommt.

Nach 150 zunächst durchaus erfolgreichen Jahren sind die herkömmlichen Massenmedien in der kommunikativen wie in der wirtschaftlichen Sackgasse gelandet. Was bleibt, ist das Kommunikationsbedürfnis eines „Zoon Politicon", Aristoteles' „Lebewesen in der Polisgemeinschaft", das sich nicht als einzelnes Wesen denken, geschweige denn als solches existieren kann. Und es findet sich wieder auf einen Austausch zurück geworfen, auf den es nicht (mehr) vorbereitet ist. So erleben wir alle einen zweiten Strukturwandel der Öffentlichkeit, in dem diese aus den Massenmedien zurückkehrt auf eine inzwischen digitalisierte und medial vermittelte Agora. Deshalb müssen wir alle wieder lernen, uns dort so selbstverständlich zu bewegen und so überzeugend zu argumentieren, wie es der digitalen Gemeinschaft zusteht.

Buchcover: Digitale Aufklärung - Warum uns das Internet klüger macht, von Ossi Urchs & Tim Cole

3 Kommentare

# Ina | 20.09.13

Lieber Ossi, nicht immer kommt was Besseres nach, wenn etwas Altes verschwindet. Auch wenn ich deine Ansicht teile, dass die Zeit der Massenmedien, die ja nicht nur Tagessschau und Bild heißen, zu Ende ist, bedauer ich das - im Gegensatz zu dir - sehr. Eine Redaktion ist das Ergebnis eines Ausleseprozesses - am Ende steht ein Produkt, das wie fragwürdig vielleicht auch immer von dafür qualifizierten Menschen mit all ihrem Wissen und ihrer ganzen Arbeitskraft hergestellt wurde.
Das ist immer noch etwas anderes als eine schnell im Internet geäußerte Meinung, die zudem auch häufig noch anonym bleiben kann. Das Internet kann und sollte da schon mehr Qualität bieten.
Was meinst du?

# Michael Kausch | 21.09.13

Ein entschiedenes "Ja, aber doch nicht ganz" zu eurer fünften These:
Zum Ersten: Der angedeutete "zweite Strukturwandel der Öffentlichkeit" (Gruß an Habermas) findet nicht ganz so schlicht statt, wie von Euch beschrieben. Dies liegt schon daran, dass die behauptete Dichotomie zwischen traditionellen Massenmedien und personaler Kommunikation so niemals gegeben war. Die große Samstagabendunterhaltung, der Derrick und die Sportschau erhielten ihre gesellschaftliche Bedeutung erst in dem sie zum Zeitgespräch der Konsumenten am nächsten Tag am Arbeitsplatz, in der Schule und am Gartenzaun wurden. Die Tagesschau war das Lagerfeuer der vergangenen Jahrzehnte, um dass sich Familien abends versammelten. Es schloss die personale Kommunikation immer schon mit ein. Wir müssen die Medien immer in ihrem Rezeptionszusammenhang und nicht nur in ihrer Produktions- und Distributionsverfasstheit begreifen.
Zum Zweiten: Dass "das digital geschulte Publikum heute einfach zu viel über die Wirkungsweise massenmedialer Scheinwirklichkeiten" wisse, ist eine fromme Hoffnung. Das Dschungelcamp ist eben nicht seine eigene ironische und deshalb durchschaubare Überzeichnung. Es ist das Muster der Zustände in unseren Schulklassen. Und es ist so wirksam wie die BILD-Zeitung, der niemand glaubt und die doch unserer Gesellschaft die Agenda aufzwingt. Freilich nicht ohne Rückkopplung: wenn die Mehrheit der BILD-Leser den Schrecken der Arbeitslosigkeit selbst erlebt hat, kann das Medium nicht länger über das "faule Gesocks" schimpfen. Immer schon wurde dieses Blatt mit zusammengebissenen Zähnen gekauft. Das Wissen um die Falschheit der Medien macht freilich nicht gegen sie resistent.
Und weil dies alles so ist, ist euer Vertrauen auf den durch die Digitalisierung der Welt vermeintlich erreichten strukturellen Fortschritt, den wir nur noch mittels kritischer Medienpraxis in Befreiung zu wandeln haben, falsch.

# Otto | 21.09.13

Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Insofern geht die Bedeutung der Massenmedien als alleinige und glaubwürdige Nahrichten-Quelle in der Tat verloren. Wer das neue Massenmedium – denn auch das Internet gehört mittlerweile dazu – als Meinungs- und Informationsquelle nutzt braucht erst Recht ein hohes Maß an Medienkompetenz, mit denen viele noch nicht umzugehen wissen.

Ein Beispiel: Juni 2013, Istanbul. Innerhalb kürzester Zeit wurde ein Bild verbreitet, dass tausende Demonstranten auf der Bosporus-Brücke zeigt. Seht wie viele wir sind – nur das Foto stammte aber vom letzten Istanbul-Marathon 2012. In überschwänglichen Sympathiebekundungen wurde dieses Bild weitergepostet – auch von vielen meiner Facebook-Freunde. Klar, dass Netz reinigt sich selbst und die Wahrheit kommt irgendwann ans Tageslicht.

Aber, das einfache Beispiel zeigt, das man ab und zu eine wichtige Sache nicht hinterfragt: Wer sagt was zum wem mit welcher Absicht! Da ist es manchmal ganz gut, dass es Profis gibt, die Nachrichten aufbereiten und darüber hinaus auch entsprechend kommentieren und versuchen uns das große Ganze verstehen zu lassen.

Insofern glaube in, dass es zukünftig eine Koexistenz von guten Journalismus in Massenmedien geben wird, gepaart mit der niemals ruhenden Kraft Millionen User, von denen viele bestimmt gute Reporter sind, aber nicht alle gute Journalisten.

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