Die Durchdringung der realen Welt durch die digitale

Haben uns die ersten beiden Thesen des Buches, das ich gemeinsam mit Tim Cole geschrieben habe, "Digitale Aufklärung - Warum und das Internet klüger macht", in die digitale Welt geleitet, so geht es nun, in der 3. These darum, zu verstehen, wie die Digitalisierung unsere Wirklichkeit, also auch die materielle Welt, in der wir leben, radikal verändert. Das ist umso wichtiger, da nur wer diese Veränderung unserer alltäglichen Wirklichkeit auch als Konsequenz ihrer Digitalisierung zu verstehen gelernt hat, in der Lage sein wird, an der weiteren Gestaltung unserer Zukunft, politisch und gesellschaftlich aktiv teil zu nehmen.

These 3:
Die digitale und die reale Welt durchdringen sich immer mehr. Das verändert beide mit rasender Geschwindigkeit und in einem bisher unvorstellbaren Maß.

Wenn technische und wirtschaftliche Entwicklungen erst einmal das gesellschaftliche wie das persönliche Leben tiefgreifend verändert haben, dann lassen sie sich kaum mehr ungeschehen machen: Das Rad der Geschichte kann man bekanntlich nicht zurückdrehen. Zumal sich im Zuge dieser Entwicklung ein weiteres, ebenso merkwürdiges wie bemerkenswertes Phänomen eingestellt hat: Waren bis vor wenigen Jahren noch die digitale und die „reale" Welt fein säuberlich voneinander getrennt, so haben beide inzwischen begonnen, sich mehr und mehr gegenseitig zu durchdringen.

So weisen uns Navigationsgeräte nicht einfach den Weg: Die von ihnen bereitgestellten digitalen Informationen erlauben uns erst den „richtigen", den schnellsten oder den schönsten Weg zu wählen. „Augmented Reality" bedeutet in der Übersetzung nicht einfach eine „Anreicherung" unserer Wirklichkeit: Das, was wir als „Wirklichkeit" erleben und verstehen wird tatsächlich in zunehmendem Maß aufbereitet und vermischt mit unsren Eindrücken aus der „realen" Welt, angereichert mit zusätzlichen Informationen und angezeigt auf einem Smartphone oder durch neuartige „wearable" Computer, etwa spezielle Brillen, wie Google's Projekt „Glass". So entsteht gerade eine neuartige, digitale „Infosphäre", die mehr und mehr Dinge in unserer unmittelbaren Umgebung genauso umgibt wie den ganzen Planeten.

Das bedeutet keineswegs, dass wir alle in Zukunft wie Zombies hilflos den Anweisungen unserer digitalen Bewegungshilfen folgend durch die Welt irren werden. Im Gegenteil müssen und werden wir lernen, Relevanz zu beurteilen, also Informationen so zu filtern, dass sie uns hilfreich und nützlich sind. Sollten sie uns ablenken oder gar stören, werden wir die entsprechende Informationsquelle einfach ausschalten.

Aber wenn wir die Infosphäre abschalten, werden wir das mit der gleichen Haltung tun, die es uns auch heute noch erlaubt, einen Stummfilm anzuschauen und zu genießen. Der bewusste Verzicht eröffnet uns die Möglichkeit eines ebenso asketischen wie ästhetischen Genusses. Es fehlt also nicht einfach eine Dimension des (Multi-)Mediums, sondern diese Reduktion erhöht unsere Konzentration auf andere Aspekte. Wobei wir wohl wissen, dass wir immer und jederzeit in der Lage sein werden, zusätzliche Dimensionen per Knopfdruck wieder zu aktivieren.

Wer den Umbau unserer Wirklichkeit im Zeichen von Digitalisierung und Vernetzung nicht nur erleben, oder gar erleiden will, sondern sich daran (inter-)aktiv beteiligen möchte, kann einen ersten Schritt tun, indem er sich hier und auf anderen Plattformen an der Debatte um diese Thesen wie auch um die aktuellen politischen Entwicklungen beteiligt.

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