Die Sache mit den Urheberrechten

Das Urheberrecht und was es bewirken kann bzw. soll, ist, zumal in einer digitalen Umgebung, eine komplexe Sache. Das wissen wir nicht erst seit Google's "Buchprojekt". Und doch hat es sich die Kanzlerin, selbst mitten in schwierigen Koalitionsverhandlungen, nicht nehmen lassen, diese Komplexität, in der ihr eigenen Art, zu reduzieren: "Wir lehnen es ab, dass ohne urheberrechtlichen Schutz die Bücher einfach eingescannt werden, wie dies von Google gemacht wird."

Ist doch klar: Das Internet ... also Google, darf kein rechtsfreier Raum sein. Das haben wir alle, auch die Kanzlerin, schon von Herrn Schäuble gelernt. Ist es ja auch nicht. Das wiederum haben wir von der Klage gegen besagtes Projekt in den USA gelernt, und von der darauf hin erzielten, aber scheinbar nur vorübergehenden Einigung und deren erneuter Revision. Wobei es in diesem Fall eigentlich nicht um einen Rechtsstreit zwischen literarischen Kleptomanen einerseits und den Hütern des gedruckten Wissens andererseits geht. Die Sachlage ist eben komplex(er). Und doch steht Gopogle dafür nun am Pranger. Worum also, geht es eigentlich?

Zunächst wollte Google mit dem umstrittenen Projekt, getreu seiner selbst gewählten "Mission", die in der Welt vorhandenen Informationen zugänglicher machen. In diesem Fall, die in längst vergriffenen, alten Büchern enthaltene Information. Und die in Büchern, deren Rechteinhaber bzw. oft auch deren Nachfolger unklar oder nicht zu ermitteln sind.

Eigentlich eine prima Idee. Ist der Zugang zu solchen Informationen doch nicht nur schwierig, sondern er verlangt auch viel Zeit und Geduld bei der Bearbeitung langwieriger Such- und Fernleihe-Anfragen. Diese Inhalte im Internet einfach zugänglich zu machen, ist nicht nur (volkswirtschaftlich wie wissenschaftlich) sinnvoll und hilfreich, sondern eine zumindest in der Welt der Wissenschaft immer wieder und gern geforderte Lösung: Stichwort "Open Access". Von den bei Bibliotheksbränden und anderen Katastrophen auf nimmer Wiedersehen verschwundenen Büchern ganz zu schweigen. Ein Schweigen, das Sergey Brin, einer der Google Gründer, in einem Kommentar für die New York Times auch beredt bricht. Google Books als digitale Sicherheitskopie.

Aber Brin verschweigt in seinem Artikel auch nicht dem Umstand, dass es dabei eben auch um viel Geld geht. Und fordert potentielle Wettbewerber auf, ebenfalls zu investieren, um an den Möglichkeiten zu partizipieren. Und er vergisst nicht, zu betonen, dass natürlich jeder Autor das Recht hat, seine Werke und deren Verwertung für sich zu reklamieren und vor solchen Projekten zu schützen. Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen - bis man den Beitrag von Frau Merkel zur Debatte vernommen hat.

Aber natürlich geht es auch in diesem Streit um mehr. Insbesondere wenn man an einer Lösung der von Google lediglich formulierten Aufgabenstellung interessiert ist. Geht es dabei doch um das Verständnis der Veränderungen, die die Digitalisierung für alle Medien bedeutet. Was die Musik- oder genauer: die Tonträger-Industrie bereits leidvoll lernen musste und was den Zeitungsverlegern, sowie der Film- und TV-Industrie derzeit widerfährt - genau wie der Buchbranche. Und die Grundlage dieses wirtschaftlichen, nicht etwa kulturellen, Leids ist tiefer und weitreichender als alle Streitereien um veraltete Distributions- und Geschäftsmodelle der betroffenen Industrien. Es resultiert nämlich aus der Digitalisierung selbst.

Einer beliebigen digitalen Datei ist eben nicht ohne weiteres anzusehen, ob es sich dabei um ein Original oder um eine "Kopie" handelt. Diese in der analogen Welt immer einfache Unterscheidung funktioniert in der digitalen nicht mehr. Eine digitale "Kopie" ist immer ein Klon. Von der kopierten Quelldatei nicht ohne weiteres zu unterscheiden.

Das weitere sind in diesem Fall bestimmte Hilfsmittel. Etwa die ebenso komplexen wie (offensichtlich) nutzlosen Kopierschutzverfahren, gern auch euphemistisch "Digital Rights Management" genannt. Die Pleite, die die Musik-Industrie mit ihren lang propagierten Kopierschutzverfahren erlebte, dürfte hier als Beleg genügen. Jedes derartige, softwarebasierte System ist nicht nur theoretisch "knackbar", also anfällig. Es verärgert darüber hinaus auch die Kunden, entzieht der Industrie also den Boden, auf dem sie wirtschaften soll. Es macht also weder wirtschaftlich noch technisch Sinn, sich damit aufzuhalten, Zeit und Geld damit zu verschwenden.

Das bedeutet nichts anderes, als dass der Verkauf einer Kopie irgendeines kreativen Aktes als Grundlage der meisten medialen Geschäftsmodelle ausgedient hat. Die gesamte Medien-Industrie steht damit vor einem Umbruch, wie ihn die Welt seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks (im Westen) nicht mehr erlebt hat.

Wenn also der Kopien-Verkauf in der digitalen Welt nichts mehr bringt, stellt sich die Frage, welches Geschäftsmodell an dessen Stelle treten kann. Eine Möglichkeit, das hat zuerst die TV-Industrie und dann Google für das Web gezeigt, ist der Verkauf von Werbeplätzen im Umfeld relevanter, also populärer (und daher möglichst frei zugänglicher) Inhalte. Die "Monetarisierung" von medialen Inhalten durch einen (wirtschaftlich) daran interessierten Dritten.

Dieser Weg kommt allerdings weder für Ton- und Bildträger, noch gar für Bücher in Frage, die selbst Geld kosten. Nicht jeder wird bereit oder auch nur in der Lage sein, für einen eigentlich interessierenden Inhalt den geforderten Preis zu zahlen. Und wer ihn bezahlt, wird nicht daran interessiert sein, durch Werbung wieder von dem teuren Inhalt abgelenkt zu werden. Werbung hätte in diesem Umfeld sowohl Reichweiten- als auch Akzeptanz-Probleme.

Eine mögliche Lösung zeichnet sich in der Musik-Industrie bereits ab: Das ehemalige "Produkt", aufgezeichnete Musik, wird selbst zu einem Werbemittel. Für die eigentliche Leistung und für das eigentliche Erlebnis Live gespielter Musik - für die eine Aufzeichnung schon immer nur Ersatz sein konnte.

Musiker werden also in Zukunft ihr Geld wieder im Wesentlichen durch Konzerte und andere Auftritte (sowie die damit einhergehenden Möglichkeiten von Sponsoring bis Merchandise) verdienen. Und "Tonträger", ob CD oder digitale Datei, nunmehr frei verfügbar, werden zum Werbemittel dafür. Derjenige Kunde, der diese Tonträger sogar kopiert um sie an Freunde und Bekannte weiter zu geben, wird vom Fan sogar zum optimalen Promoter, zu einem wesentlichen Bestandteil der neuen Verwertungsketten. Und diese "virale" Verbreitung des Werbemittels, insbesondere durch das globale Internet, hilft dem Künstler schließlich auch noch zeitliche und regionale Grenzen sener Popularität zu überwinden.

Die Digitalisierung bedeutet in diesem Scenario eine Abkehr vom industriellen Geschäfts- und Produktionsmodell und eine "Rückkehr" der - inzwischen digitalen - Manufaktur.

Sicher ist dieses Modell nicht ohne weiteres "eins zu eins" auf die Welt der Bücher und die ihrer Autoren übertragbar. Doch auch hier werden sich ähnlich funktionierende Modelle entwickeln (lassen). Zumal auch im "Literaturbetrieb" das Buch schon längst nicht mehr die primäre und wesentliche Einkommensquelle seines Autors ist - von wenigen Bestseller-Autoren insbesondere in den USA einmal abgesehen.

Der Verkauf von Büchern ist für die Autoren derselben zum eher marginalen Nebeneinkommen degeneriert. Das Buch ist heute viel mehr der wesentliche Beleg für das intellektuelle, kreative oder auch wissenschaftliche Potenzial, der ihm den Weg zu anderen, ansonsten nicht zugänglichen Einkommensquellen öffnet. So wird auch das Buch, wie schon der Tonträger in der Musik, wesentlich immer mehr zu einem geeigneten Werbemittel für die in anderen Zusammenhängen zu erbringende und zu bezahlende Leistung des Autors. Das mag man beklagen, bestreiten lässt es sich nicht.

Solche indirekten und vernetzten Geschäftsmodelle sind sicher komplexer, wahrscheinlich aber auch lohnender als die traditionellen, relativ einfachen Mechanismen der "Creative Industries". Es sei denn Frau Merkel macht sich, wohlmeinend aber Gegenteiliges bewirkend, in der ihr eigenen, einfachen Art daran, mit der Komplexität auch gleich die zukünftigen Reproduktionsmöglichkeiten der kreativen Köpfe dieser Industrie(n) zu reduzieren.

4 Kommentare

# Jörn | 12.10.09

toller Artikel !!

# Volker | 12.10.09

"wesentlich immer mehr zu einem geeigneten Werbemittel für die in anderen Zusammenhängen zu erbringende und zu bezahlende Leistung des Autors."

Welche beispielsweise? Was wäre das Resultat dieser Entwicklung? Nur noch ein paar wenige "hauptberufliche" Autoren?

# Daniel | 12.10.09

Literatur Nobelpreise zum Beispiel.

Im ernst: die Haptik eines auf Papier gedruckten Buches ist in keiner Weise mit digitalen Inhalten zu vergleichen. Ich glaube nicht, auch nicht im Anbetracht von eBook Readern, etc, dass Bücher in naher Zukunft so sehr vom Markt gedrängt werden wie das im Moment der Fall bei CDs oder DVDs ist.
Digitale Inhalte haben leider keinen nominellen Wert mehr, da ihre Verfügbarkeit unbegrenzt ist. Nur künstliche Verknappung kann da noch einen Wert erzeugen. Künstliche Verknappung von Gütern hat sich auf Dauert aber noch nie bewährt.
Es muss also ein neues Geschäftsmodell entwickelt werden, dass nicht auf die künstliche Verknappung von digitalen Inhalten angewiesen ist.

# Sigi Höhle | 15.10.09

Der Satiriker Ephraim Kishon wurde schon vor mehr als zwanzig Jahren von der audiovisuellen Verkabelung bis an die Grenzen der Sucht getrieben.
"Dafür mache ich zuallererst die Gesetzgebung verantwortlich, die das Kopieren von urheberrechtlich geschützten Videobändern leichtsinnigerweise verboten hat. Seither verbringe ich nämlich, wie jeder normale Mensch, einen wesentlichen Teil meiner Arbeitszeit mit dem Kopieren von urheberrechtlich geschützten Videobändern, ohne Rücksicht auf Herkunft, Zivilstand und Religion."
(ders.: Total verkabelt, 1989 by Langen-Müller, hoffentlich sind damit alle urheberrechtlichen Fragen geklärt)

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