Identities: Nothing stays the same. Not even YOU

Gestern habe ich bei der ausgesprochen munteren und dynamischen TEDxRheinMain nicht nur das Vergnügen gehabt den Nachmittag zu moderieren, ich habe auch eine kurze Einleitung in das Thema vorgetragen. Wer sie noch einmal nachlesen möchte, kann das nun hier tun.

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Herzlich Willkommen zur ersten TEDx Rhein-Main!
Also einem unabhängig organisierten TED-Event, der dem Motto „Ideen, die es wert sind verbreitet zu werden", verpflichtet ist.

Die TED-Konferenzen selbst gibt es in den USA bereits seit den 80er Jahren. Und mit den „TED-Talks" Videos auf YouTube haben sie weltweite Beachtung und Bedeutung gefunden.

TED steht dabei für „Technology - Entertainment - Design". Das ist der Hintergrund, sozusagen das „semantische Feld" in dem wir uns bewegen. Vor diesem Hintergrund werden Themen und Thesen, Einsichten und Ausblicke, weit über den genannten begrifflichen Dreiklang hinaus, formuliert und diskutiert.

Und welches Datum wäre dafür besser geeignet als der heutige 2. Februar. Das alte keltische Lugnat, das später zu „Mariae Lichtmess" verchristlicht wurde. Dieses Fest markierte für die Kelten den „Durchbruch zum Licht", d. h. das Licht kehrt in die winterlich dunkle Welt zurück. Und das Licht bringt neues Leben in den menschlichen Geist. Ganz im Sinne der Aufklärung, die ja nicht umsonst im Englischen „Enlightment" heißt.

Dieses Licht wollen wir auf eine der menschlichen Grundfragen richten, der nach unserer Identität, bzw. nach unseren, im digitalen Zeitalter globaler Vernetzung, zahlreicher werdenden Identitäten. Unsere These dazu: Nothing stays the same. Not even YOU!
Dieses Thema hat die Menschen seit den Anfängen ihrer (Geistes-)Geschichte immer wieder erneut beschäftigt.
Das „Atman" (Selbst) und sein Verhältnis zum Brahman, dem transpersonalen und universalen, wenn Sie so wollen „göttlichen" Selbst, stand am Anfang der indischen Philosophie der Veden und der Upanishaden (Vedanta!).
Pythagoras hat dieses Selbst im Griechenland 500 v.u.Z. als ein Zahlenverhältnis verstanden, das zum Kern seiner Mysterienschule wurde: Von 1 (dem Einen) zu 2 (dem „anderen") zu 3 (der Bewußt- oder Menschwerdung).
Indem er das Selbst, das, was uns eigentlich ausmacht, von einer singulären Einheit zu einer durch ein Verhältnis gekennzeichneten Vielheit erweiterte, warf er eine Frage auf, die uns, seit Sosias sie in Kleists „Amphytrion" stellte, bis heute bewegt: „Ich? Welches Ich?"

Und heute? Heute stehen wir wie der Begründer der Vedanta-Philosophie Adi Shankara und wie Pythagoras wieder am Beginn einer „neuen Zeit", einer neuen Epoche der Menschwerdung.

Längst hat das Internet nicht nur die Art und Weise, wie wir alle leben, lernen und arbeiten, wie wir einkaufen, uns unterhalten und mit anderen in Austausch treten bzw. kommunizieren (von Kommunion = Eins werden!) fundamental verändert. Doch damit nicht genug:

Die Digitalisierung hat auch uns selbst grundlegend und nachhaltig verändert. Uns zu „Anderen" gemacht. Sie hat uns vom Zentrum der Welt an die Peripherie des Netzes geworfen. Vor allem hat sie unsere Perspektive auf uns selbst, wie wir uns und noch mehr wie andere uns sehen, fundamental verändert.

Wir sind nicht mehr einzelne, sondern „viele", wie Elisabeth von Samsonow im Titel ihres Buches formulierte. Was für Pythagoras noch „geheimes" (esoterisches) Wissen war, ist heute öffentlich und unübersehbar: Wir sind viele, im Sinne „multipler" Persönlichkeiten, geworden. Wir sind aber auch viele an der Zahl: 2 Milliarden im Internet, 600 Millionen allein auf Facebook. Unsere digitalen „Freunde" oder „Follower" (auf Twitter) zählen Hunderte, wenn nicht Tausende.

Es sind viele, die unseren digitalen Spuren und Identitäten folgen. Unsere zahlreichen, digitalen Schatten, so zu sagen. Aber wir vervielfältigen uns auch zunehmend selbst. Wir hinterlassen ständig neue digitale Spuren, Dateien und Identitätsverweise.

Was früher noch Aspekte einer Persönlichkeit sein mochten - zumindest konnten wir uns das vorstellen! - gewinnt heute, in den Augen und Ohren der digitalen „Anderen" den Charakter von eigenständigen, autonomen digitalen Identitäten. Digitale Zeichen, Bilder und Töne existieren relativ autonom, also unabhängig und getrennt von ihrem „Urheber". Auch deswegen machen „Urheberrechte" heute keinen Sinn mehr. Aber das nur am Rande.

Ich selbst finde mich im Netz wieder als „der Internet-Guru" und als der Indien-Reisende, als Berater und als ein in vernetzten Strukturen Denkender, um nur einige herauszugreifen. Und all das ist zwar meist, bleibt aber nie eine „diskrete" Identität. Im Gegenteil: Im Netz werden diese Bilder („Images"!) schon bald unscharf, verbinden sich zu neuen Vielen, die allein wir selbst sein können. Anders als die vielen anderen. Aber nur um zu entdecken, dass diese Bilder von uns selbst, dieses ebenso fraktale wie fragile „Selbstmodell" wie Thomas Metzinger am besten weiß, eigentümlich leer ist.

Dennoch müssen wir uns kleiner machen als wir eigentlich sind, um uns als verschieden, separat von all den anderen, überhaupt sehen und denken zu können. Im Spannungsfeld solcher Gedanken und Einsichten werden wir uns bewegen und denken müssen, wenn wir heute über unsere sich permanent wandelnden und entwickelnden Identitäten reden wollen. Nothing stays the same. Not even YOU!

Und welcher Ort wäre dafür geeigneter als ein Museum wie das Klingspor-Museum. Hier geht es um Typographie. Um den Entwicklungsschritt von der alten, oralen Tradition der Menschheit zur Moderne, zur schriftbasierten Kultur (und Gesellschaft). Wie das Internet heute, markiert die Erfindung des Buchdrucks durch Gutenberg in Mainz vor einem halben Jahrtausend, einen fundamentalen Wandel. So wie Gutenberg den Zugang zu schriftlich codiertem Wissen eröffnete, stehen wir heute vor der Herausforderung dieses nun multimedial codierte Wissen interaktiv zu verarbeiten.

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