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Von ossiu am 11.08.08

Macht Der Spiegel Doof?

Das große deutsche Nachrichten-Magazin schockte diese Woche die verbliebene, gerade nicht urlaubende Zielgruppe mit dem in Frageform gekleideten Gottseibeiuns: "Macht Das Internet Doof?"

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Dabei ist nicht mal die Frage originell. Allerdings lieferte der Titel- und Stichwortgeber, das US-(Online-)Magazin "The Atlantic" sie etwas präziser aus: "Macht Google uns dumm?". Wahrscheinlich sind dessen Verwertungsbeziehungen zum Online-Marketing-Giganten weniger intim als die der Hamburger Kollegen. Aber das macht die Frage auch nicht besser.

Denkt der aufmerksame Leser, längst gewöhnt an die besorgten Tiraden über mittels Google und Wikipedia, sowie rudimentärer Copy-Paste-Kenntnisse entstandener Schul- und Hausarbeiten. Das passiert an deutschen Schulen wie an amerikanischen Colleges. Aber leidet deswegen die Fähigkeit der Schüler und Studenten aufmerksam zu lesen und zu lernen? Auch diese Sorge ist (fast) genau so alt wie die Buchdruck-Kunst.

Man fühlt sich also geneigt wieder zur sommerlichen Tagesordnung überzugehen: Nichts Neues auf dem Kontinent Internet. Käme im länglichen Original-Artikel, sicher auch eine Eingangsvoraussetzung für die Eignung zur Spiegel-Titel-Vorlage, nicht die Rede auf den großen Medien-Theoretiker Marshall McLuhan. Diese Passage fehlt allerdings im Spiegel. Ob wegen mangelnder Popularität des Kronzeugen in Deutschland, oder wegen des mangelnden Verständnisses der, zugegeben komplexen Argumentation, bei den Spiegel-Autoren, lässt sich nicht feststellen. Aber immerhin hatte McLuhan seinerzeit Bemerkenswertes über den Charakter "Neuer Medien" lange vor der Verbreitung des Internet herausgefunden.

Zum Beispiel, dass die Medien nicht nur die Inhalte, die sie produzieren und verbreiten, prägen, sondern genau so das Denken der Nutzer. Verzeihung: der Zuschauer und Leser im Umgang mit diesen Inhalten: "The media is the message."

War also das Denken der weitgehend passiven Fernseh-Zuschauer von der ebenso passiven Entgegennahme der dargebotenen Inhalte und Produkte geprägt, von denen er dann das Passende auswählen durfte - "Consumerism" nannte das McLuhan -, so müsste das Denken der geübten Internet-Nutzer heute von Kommunikation und Interaktion, von Vernetzung und Austausch bestimmt sein. Aber nichts dergleichen stellt sich bei den Atlantic- und Spiegel-Autoren ein. Im Gegenteil. Sie leiden.

Sie leiden vor allem an Konzentrationsmangel und Fahrigkeit, an Kommunikationsstress und Nervosität. Und daran, klar, ist das Internet schuld. Schließlich ist es inzwischen das lange prognostizierte "Universal-Medium" geworden, mit und in dem wir alle Kommunikations- und Informationsbelange erledigen. Und damit verändert es, nach McLuhan, unser Denken genau so wie unsere Persönlichkeit, oder zumindest das, was wir darunter verstehen.

Wird Information also, indem Google und das Web sie frei zur Verfügung stellen, entwertet? Wird unsere Intelligenz durch den ständigen Umgang mit der von Google maschinell indizierten, kategorisierten und algorithmisch bewerteten Information gar zu einer quasi-maschinellen, jedenfalls "künstlichen", also minderwertigen Intelligenz? Verblöden wir zum hilflosen Bio-Fortsatz überlegener Maschinen?

Selbst wenn das so sein sollte, woran ich durchaus zweifle, wenn wir also durch die immer intensivere Vernetzung zu immer schnellerer Informationsverarbeitung gezwungen, zu algorithmisch funktionierenden, "entmenschlichten" Wesen verkommen sollten, so stellt sich, bei allem Respekt vor McLuhan, doch die Frage (wer ist in diesem Stadium eigentlich noch intelligent genug, um Fragen zu stellen?), ob tatsächlich das Web und Google die Ursache für unseren misslichen Zustand sind.

Oder sind wir vielleicht selbst Ursache und Opfer einer fundamentalen Veränderung? Insbesondere wir "Digitalen Immigranten", die wir den Umgang mit der Vernetzung und dem Medium Web noch ebenso mühsam erlernen müssen, wie die sinnvolle Verarbeitung der inzwischen überall verfügbaren Informationen? Sind wir also von einer technischen Entwicklung überfordert? Diese Frage wurde übrigens schon einmal sehr heftig diskutiert. Angesichts der Eröffnung der Eisenbahn zwischen Nürnberg und Erlangen: Die bei der schnellen Fahrt ununterbrochen auf den Zugreisenden einströmenden Sinneswahrnehmungen, so damals die These, würden das Gehirn des Fahrgäste unweigerlich zerstören. Ist dann aber doch nicht passiert. Das nennt man Evolution.

Ganz sicher wird die durch das Internet hervorgebrachte fundamentale Veränderung auch vor unserer Art Informationen zu sammeln und zu verarbeiten nicht Halt machen. Sie wird sie, im Gegenteil, fundamental verändern - genau so wie unser Verständnis von uns selbst und dem, was wir für wirklich halten. Und zwar nicht zu einem wie auch immer gearteten Endpunkt, sondern als andauernd sich selbst verstärkender Prozess von Veränderungen. Und Veränderung bedeutet Leben.

Oder wie der große amerikanische Denker und Schriftsteller Robert Anton Wilson in anderem Zusammenhang einmal sagte: "Die Intelligenten werden es nutzen um noch intelligenter zu werden. Und die Dummen werden es nutzen und dabei noch dümmer werden."

Und das ist im Internet genau so der Fall wie im richtigen Leben. Also: Kein Ende in Sicht. Auch keine Erlösung davon. Aber auch kein Absturz. Oder haben Sie den Eindruck mit steigender Internet-Nutzung immer dümmer geworden zu sein? Ich nicht.